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║ 26. Suche (I+II) ║
║ Mittwoch, 26. Januar 2005, 00:00 eloi ║
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Suche I
Der Flur ist grün gestrichen. Es riecht leicht nach Reinigungschemie und jede
2. Leutstoffröhre flackert oder ist ganz defekt.
Hinter jeder der Türen ein anderes Zimmer. Andere Menschen darin. Wenn überhaupt.
Im ersten Zimmer Fliesen und in der Mitte ein verstaubter Webstuhl.
An einer der vier kalkweißen Wände das Bild eines Apfels.
Mit einem Schaudern schließe ich die Tür und gehe zum nächsten Zimmer.
Einige Leute scheinen in ein Gespräch vertieft, aber ich kann ihnen nicht
folgen. Auch scheinen sie von mir keinerlei Notitz zu nehmen. Lediglich ein
paar messende Blicke streifen mich. Einigermaßen enttäuscht gehe ich zum
nächsten Zimmer.
Wieder eine kleine Gruppe vertrauensseelig aussehende Menschen. Erst nachdem
ich mich ein paar Stunden an ihren Gesprächen beteiligt hab, fällt mir auf, daß
sie eine ganz andere Sprache sprechen und weder ich sie noch sie mich
verstanden haben. Und wieder einen Augenblick für nichts.
Hinter einer weiteren Tür, ein leeres Zimmer. Ein blauer Teppich, weiße Wände,
eine Uhr. Ich betrete den Raum und setze mich auf den Boden in eine Ecke um
mich zu sammeln. Mit jeder Sekunde bewegt sich nicht nur der Zeiger der Uhr
unaufhaltsam ein Stückchen weiter in Richtung fünf vor zwölf, sondern auch die
Decke sich unmerklich nach unten. Gerade noch rechtzeitig gelange ich wieder
auf den grünen Flur.
In einigen der seltsamen Zimmer sieht es tatsächlich gemütlich aus. Manchmal
liegt viel Staub auf verlassenen Sofas. Manchmal sehe ich eine alte Küche, in
der leise jemand weint. Oder in der ich einen freundlichen Kaffee bekomme, mehr
aber auch nicht. Manchmal stoße ich auf Menschen, in interessante Gespräche
vertieft. Doch es läuft immer wieder darauf hinaus - ich werde ignoriert, nicht
verstanden oder hinausgeprügelt.
Manchmal werde ich auch in ein Zimmer hineingezogen, daß ich am liebsten nie
betreten hätte. Und dort für unbezahlte Stunden festgequatscht, mit Trivialem
gequält und mir wird, an einen Stuhl gefesselt, eimerweise Einheitsbrei
eingezwungen.
Je weiter ich gehe, desto zielloser mein Weg. Es geht immer weiter, von Tür zu
Tür, Zimmer zu Zimmer, Raum zu Halle zu Kammer zu Saal, immer weiter den Flur
entlang, soviel ist klar. Aber was ich suche habe ich schon lange vergessen.
Immer mehr drängt sich mir der Gedanke auf, daß ich nicht passe, auf dem Flur
wohne, zwischen anderen, niemals mit. Wie ein gewaltiges Provisorium.
Die wenigen Räume in denen ich einen Ansatz von Wohlgefühl empfand, sind
mitlerweile unauffindbar oder leergestorben.
Mit jedem vermeintlich schönen Zimmer daß ich erblicke wächst mein Misstrauen.
Zu oft musste ich mich unter einer hervorschnellenden Faust wegducken.
Zutreten, schreien, flüchten. Oder entmutigt, das Gefühl der Deplatzierung
hinnehmend, weitertrotten. Ich gehe dazu über, vor dem Betreten eines Zimmers
stundenlang durchs Schlüsselloch zu spähen, zu lauschen. Bei jedem potentiellen
Aufenthaltsort für die nächsten Stunden meines Lebens verbringe ich mehr Zeit
damit, darüber nachzudenken, ob es gut ist, ob es sich lohnt, ob es mich
bereichert oder mich enttäuscht, als damit, es einfach auszuprobieren.
Trial and Error ist eine tolle Sache, aber irgendwann sind auch die
behorntesten Stellen meines Ichs wund oder taub. Die Vorsicht verhindert nicht
nur weitere Schmerzen und Enttäuschung. Über den Preis dafür darf ich nicht
nachdenken, denn das würde unweigerlich dazu führen, daß ich den Fehler meines
Vorgehens erkenne. Und wenn ich auf die Menge der Türen zurückblicke, an denen
ich lieber lauschte als einzutreten wird mir bewusst, daß ich womöglich etwas
verpasst haben könnte.
Auf dem Weg der Schmerzvermeidung ließ ich das Gefühl der Behaglichkeit zurück.
Suche II
Ich schaue durch das Schlüsselloch einer Tür und sehe ein warmes, orange
gestrichenes Zimmer. Es gibt ein Fenster mit Sonnenschein darin. Ein Sofa mit
Decke. Ein Sessel mit Lehne. Sogar Pflanzen, die weder vertrocknet noch Kakteen
sind. Aber vor allem Dich.
Und nun?
Zögernd hebe ich die Hand, um dann doch nicht zu klopfen.
Warum, frage ich die Vorsicht.
Und die Vorsicht zuckt mit den Schultern, hat sie doch ihr Fehlverhalten längst eingesehen.
Und ich lache mich aus, schüttel den Kopf und gehe, die Tür nicht aus den Augen lassend, vorsichtig weiter.
Und wieder zurück. Hebe wieder zögernd die Hand, um wieder nicht zu klopfen.
Und wieder frage ich die Vorsicht nach dem Grund.
Und wieder kann sie mir keinen nennen.
Und wieder kann ich mir einen abfälligen Kommentar über mich nicht verkneifen.
Wieder gehe ich weiter.
Und kehre zurück.
Und jedes Mal stehe ich mit erhobener Hand vor Deiner Tür.
Und jedes Mal frage ich die Vorsicht, vorvor sie Angst hat.
Und jedes Mal zuckt die Vorsicht mit den Schultern.
Und jedes Mal reagiere ich mit Hohngelächter und sarkastischen Bemerkungen über mich selbst.
Und jedes Mal kann ich wieder nicht klopfen; die Mutlosigkeit lässt meinen Arm sinken und von mal zu mal schwerer werden.
Irgendwann sitze ich auf den Boden neben Deinem Zimmer und hoffe daß du herauskommst.
Ich weiß, daß das nie passiert.
Niemand verlässt freiwillig sein Zimmer.
Und niemand öffnet die Tür, wenn es nicht klopft.