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║ 13. Obst                                                            ║
║ Donnerstag, 13. Januar 2005, 00:00                             eloi ║
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Dr. Larta schaute auf ihr Klemmbrett, dann zu mir, dann zu Dr. Johnson. Der sah ebenso ratlos aus und hätte wohl am liebsten mit den Schultern gezuckt, traute sich das in Anwesenheit eines Patienten aber anscheinend nicht.
Seit fast zwei Monaten ging ich regelmäßig zu den beiden hoch angesehenen Ärzten. Unsere Sympathie beruhte auf Gegenseitigkeit und wir hatten alle nicht das Gefühl seit dieser Zeit einen einzigen Schritt weitergekommen zu sein. Irgendwie tat mir das sogar ein wenig leid. Sie gaben sich wirklich Mühe. Schließlich sagte Johnson, daß die Zeit um sei und ich sagte artig "Gute Nacht Apfel." - "Auf wiedersehen Skingy." - "Gute Nacht Birne." sagte ich zu Dr. Larta. Sie erwiderte nur ein Seufzen und Kopfschütteln.
Ich habe festgestellt, daß eigentlich die meisten Menschen komisch sind und teile sie daher in metaphorische Gruppen. Ärzte sind Obst. Alle. Die Verbindung ist Gesundheit. War das denn so schwer zu verstehen für zwei der besten Psychologen Norddeutschlands?
Draußen wartete mein Zivi. Als er mich zurück in die Anstalt fuhr fragte er mich: "Na Skingy, hast Du das Gemüse wieder in den Wahnsinn getrieben?" - "Ach Taube, Du hörst mir nie richtig zu. Sie sind Obst. Und: jaaa. Ich denke, ich werde sie bald soweit haben." Ich verzog das Gesicht und lachte dämonisch. Mein Zivi grinste. Ich glaube, er ist einer der wenigen, die mich nicht für Verrückt halten. Trotzdem nahm ich mir vor, ihm nachher das Genick zu brechen. Mal ehrlich, was hat er für eine Zukunft, wenn er nicht mal richtig zuhören kann?
Andererseits meint er es wirklich gut... und einen Menschen nur wegen seines Aufmerksamkeitsdefizites zu erlösen ist wohl doch etwas zu hart.
Am Nachmittag kamen mich zwei meiner Freunde besuchen. Endlich Menschen, die ich nicht metaphorisieren brauche. Es ärgerte mich, daß sie an den Strand wollten, abends. Ich wollte gerne mitfahren und auch feiern, baden, saufen. Ich beschloss, ihnen deshalb das Genick zu brechen. Warum sollten sie Spaß haben und ich nicht?
Andererseits sind es meine Freunde. Da haben sie dann aber noch mal Glück gehabt, dachte ich.
Das Essen kam wieder mal zu spät, war zu trocken weil Soße fehlte und reichte wie immer nicht zum satt werden. Wieder einmal dachte ich darüber nach, wem ich dafür zuerst das Genick brechen sollte: der Köchin, dem Zivi der das Essen auffüllte oder dem, der es austeilte?
Lustlose Sklaven eines mystischen Systems. Sollten sie wirklich für eine Demotivation sterben, für die sie wahrscheinlich nicht mal verantwortlich waren?
Während dieser Überlegungen hatte ich meine Schlagbohrmaschine (ein angefeilter Teelöffel) aus ihrem Versteck in der Matratze geholt und an meinem Loch, ganz oben in der Wand, weitergearbeitet. Eine zermürbende Arbeit. Ich musste dabei auf dem Bett stehen und über Kopf arbeiten. Deshalb musste ich alle zwei Minuten die Hand wechseln.
Nach nur vier Monaten und einigen mentalen Genickbrüchen war es endlich so weit. Die letzten zwei Therapiestunden mit Apfel und Birne rückten in greifbare Nähe und ich hatte alles vorbereitet. Das Loch in der Wand war tief genug und der Löffel darin verkeilt.
Ein neuer Zivi fuhr mich in die Privatpraxis. Es konnte losgehen.
In nur zwei Stunden erklärte ich den beiden Profis mein komplettes Lebensprinzip und meine Weltanschauung. Anschließend erzählte ich ihnen meine komplette Biografie. Mein Vortrag war gut geprobt. Ich sprach sehr schnell und hatte genau nach 120 Minuten mit der Schilderung meines Todes geschlossen. Zum ersten mal sah ich sie völlig überfordert, schockiert, geängstigt und vor allem: total sprachlos.
Beim hinausgehen durchströmte mich eine tiefe Zufriedenheit.
Ich hoffte, daß ihre mentale Lähmung lange genug anhält, um die Anstalt nicht mehr rechtzeitig benachrichtigen zu können.
Zurück in der Zelle hängte ich die vorbereitete Wäscheleine an den Löffel in der Wand und meinen Hals an ihr anderes Ende.
So. Jetzt etwas Geduld.
Ah. Quietschende Reifen im Hof, das werden sie sein. Ich hörte sie zu meiner Zelle hassten. Mindestens vier Leute. Hektisches Aufschließen der Tür. Als erstes stürmten Apfel und Birne in den Raum, blieben wie angewurzelt stehen, als sie mich sahen. Dann noch ein Arzt und die Frau Pförtnerin. Als alle mich anstarrten, regungslos, ohne ein Wort zu sagen, grinste ich, sprang hoch und ließ mich fallen.
Wie ich es ihnen bereits mitgeteilt hatte, blieb dieses Knacken noch sehr lange im Gedächtnis des Obstes.