╔═════════════════════════════════════════════════════════════════════╗
║ 10. Jackie II                                                       ║
║ Montag, 10. Januar 2005, 00:00                                 eloi ║
╚═════════════════════════════════════════════════════════════════════╝
Eine mit überdurchschnittlichem Intelligenzquotienten gesegnete, jedoch beim Rohrschachtest versagende Person sagte, nachdem ich ihr mitteilte, was es zu Abend gäbe, eines Tages einmal, sie möge keine Weichblattsalami, weil davon ihr Plattenspieler am ganzen Körper Haare bekäme und man sich dann vorkäme, wie eine Stunde der eine Minute geklaut wurde. Wörtlich sagte sie: "Ich mag keine Weichblattsalami, weil davon mein Plattenspieler am ganzen Körper Haare bekommt. Dann kommt man sich vor, wie eine Stunde der eine Minute geklaut wurde."

Ich habe dann auf Werksfaltsalatkäsekruste mit Dip umdisponiert.
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║ 9. Ego                                                              ║
║ Sonntag,  9. Januar 2005, 00:00                                eloi ║
╚═════════════════════════════════════════════════════════════════════╝
meine einsamkeit hat ein ende -
ich bin jetzt mit mir zusammen

ich sehe mich gern
ich finde mich hübsch
ich belüge mich nicht
ich betrüge und hintergehe mich nicht
ich mache keine fehler
ich weiß was mich verletzt
ich weiß was ich mag
ich weiß was mir gefällt

ich weiß wo ich abends bin
ich kann mich auf mich verlassen
ich bin nie mehr allein
ich bin ja immer bei mir
ich bin das perfekte paar

die zeit zeigt, daß alles eine farce ist -
ich mag mich nicht
ich kann mich nicht mehr sehen
ich finde mich hässlich
ich kann mir nicht trauen
ich hintergehe mich selbst

ich wäre lieber nicht in meiner nähe
ich kann meine lügen nicht mehr hören
ich handle immer wieder aufs neue falsch
ich verletze mich damit selbst
ich hätte gern ruhe vor mir
ich wäre lieber allein
aber ich kann mich nicht verlassen
denn was wäre ich ohne mich?
╔═════════════════════════════════════════════════════════════════════╗
║ 8. Alle Menschen sind gleich, Beweis                                ║
║ Samstag,  8. Januar 2005, 00:00                                eloi ║
╚═════════════════════════════════════════════════════════════════════╝
Ich verhalte mich zu meinem Nächsten (Dir) wie dieser (Du) sich zu mir (ich). Das versteht sich als eine Frage der Selbstverständlichkeit. Definiere man nun zunächst:


Ich = mir; Du = dir


kann man ein Verhältnis aufstellen:

Ich   Du
--- = ---
Dir   mir


dies entspricht

Du² = Ich²



und wenn wir daraus noch die Wurzel ziehen ergibt sich:

Du = Ich; Ich = Du


Nun noch der Form wegen die Induktion: Wenn Du nun auch noch mit Ihm so umgehst, wie er mit Dir und er das auch tut und das so fortsetzt kommt man zu:

Du = Er
und weil
Du = Ich
folgt
Er = Ich


man kann also zusammenfassen


wir = alle = Du = Ich
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║ 7. Das Ohm'sche Gesetz                                              ║
║ Freitag,  7. Januar 2005, 00:00                                eloi ║
╚═════════════════════════════════════════════════════════════════════╝
1,50m ist nicht viel.
Doch dazwischen gibt es einen Haken.
R ist nicht Radius, nicht Widerstand.

R ist der Haken.

Ausweg?
Nein.
Es gibt keinen.
Die Tür ist zu.

Doch, klar Tür öffnen.
Was fehlt ist der Schlüssel.
Der Schlüssel zum Erfolg.
Menschlichkeit?
Geld?

Coolness?
Humor?
Menschlichkeit und Geld und Coolness und Humor – alles?
Nichts?

Was Symbollos bleibt, ist die Frage.
Die Frage nach R.

Nicht Radius.
Radius verbindet. Mittelpunkt mit Peripherie.
(Wer ist wer?
Möchte ich sein, was ich versuche darzustellen,
Möchte ich sein, als was ich mich sehe?)

Widerstand nicht.

Widerstand verlangsam, hemmt, verhindert nicht.
Doch Widerstand?
(Hoffnung?)

Unterbrechung.
R verhindert.

Oder Kurzschluss?



[ Randbetrachtung:
- ist R Variabel oder Konstant?
- ist R berechenbar?
- ist R nicht völlig egal / überflüssig / destruktiv?

- Fließt kein Strom, weil die Spannung zu klein ist, oder weil R zu groß ist?
- Schlägt es Funken, wenn R entfernt wird?
- Finden all' diese Betrachtungen nur statt, weil ich längst weiß, daß ich es nie herausfinden werde, vielleicht nicht mal will?

DENNOCH ]

(sometimes i like to pretend)
╔═════════════════════════════════════════════════════════════════════╗
║ 6. Jackie                                                           ║
║ Donnerstag,  6. Januar 2005, 00:00                             eloi ║
╚═════════════════════════════════════════════════════════════════════╝
Wie jeden Donnerstag hole ich Jackie aus dem Heim ab, um mit ihr Gassi zu gehen. Wie jedes mal wird sie von einigen Hunden angebellt. Wie jedes mal bellt sie zurück. Mittlerweile kennen uns einige von den Leuten, die uns begegnen und schauen nicht mehr ganz so komisch. Auf der großen Lichtung im Park stecke ich ihr die Leine in den Beutel und lasse sie laufen. Ich glaube, sie ist das einzige Känguru dieser Erde, daß läuft statt zu springen. Aber vielleicht brachte das das Stadtleben mit sich.

Aber heute ist Revolution.
Anstatt direkt zurück zum Heim gehe ich mit Jackie zur Bushaltestelle. Sie schaut mich verwirrt an. Ich zwinker ihr zu und sage ihr, was ich vorhabe.
Nicht einmal eine halbe Stunde später sind wir bei mir zuhause. Ich gehe mit ihr in die Küche, schließe die Küchentür, lasse die Jalousie herab und nehme ihr das Halsband ab. Ich öffne mir ein Bier. "Setz' Dich." Zögernd lässt sie sich auf dem Boden in der hintersten Ecke nieder. "Möchtest Du was trinken?" Keine Reaktion. Wie immer, wenn ich mit ihr rede. "Jackie, wir kennen uns jetzt über ein Jahr. Wir sind hier unter uns. Niemand kann Dich sehen oder hören. Und ich würde mich sehr freuen, mal Deine Stimme zu hören." Keine Reaktion. Ich trinke einen Schluck Bier, halte ihr die Flasche hin. Langsam nimmt sie einen winzigen Schluck. "Ach komm schon, ich sag's auch niemandem. Warum tust Du das?" Ich warte. Sie sitzt regungslos in der Ecke. Als ich die leere Flasche in den Kühlschrank zurücklege eine leise, warme Stimme "Es ist einfacher." Überraschung wäre geheuchelt. Ich werde fast ohnmächtig vorm Kühlschrank. Taste mich zu meinem Stuhl zurück. "Es ist einfacher?" Diesmal antwortet sie sofort, noch immer sehr leise und warm. "Ja. Ich brauche mich um nichts zu kümmern. Hab eine kostenlose Wohnung. Naja, Zimmer. Mir reicht das. Bekomme meine Malzeiten und werde nicht genötigt mit irgendwelchen Leuten zu reden. Und ich werde in Ruhe gelassen. Einmal pro Woche kommst Du mich besuchen und ich kann mal raus. Das ist für mich das beste Leben, das ich mir vorstellen kann."

Bumm. Fertig. Das ist ihre Theorie. Warum nicht. Ich hatte schwerwiegende psychische Probleme erwartet, aber sie will nur ihre Ruhe.
Ich bin immer noch verblüfft, als sie den Reißverschluss öffnet und den Kopf ihres Kostüms abnimmt und den oberen Teil des Känguru-Overalls abstreift. Darunter befindet sich ein ziemlich hübsches Mädchen mit langen, braunen Haaren, ebenso gefärbten Augen, sehr heller Haut und Jeans-Latzhose. Als sie meinen Blick bemerkt, lacht sie. "Weißt Du, ich bin gar kein richtiges Känguru."
Bei einem weiteren Bier für jeden von uns erfahre ich, daß sie das Kostüm tatsächlich nur zum duschen ganz auszieht und ich seit drei Jahren der erste bin, der ihr menschliches Gesicht sieht. Ich schaue auf die Uhr. Schon fast eine Stunde zu spät, also rufe ich im Heim an um Bescheid zu sagen.

Nach einem Jahr schweigender Freundschaft hatten wir einiges Nachzuholen.

Jackie wacht auf. Benommen schüttelt sie den Kopf - was für ein absurder Traum. Als sie im Bad in den Spiegel schaut, bemerkt sie, daß der Reißverschluss ihres Hasenkostüms ein Stück weit offen ist. Ein Blick auf die Uhr. Er müsste gleich da sein. Immerhin ist heute Donnerstag.
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║ 5. Bowling                                                          ║
║ Mittwoch,  5. Januar 2005, 00:00                               eloi ║
╚═════════════════════════════════════════════════════════════════════╝
Der Professor betritt den Raum. Schweigen. Ein Blick in die Runde. "So Leute." Pause. Eine zaghafte Stimme von weiter vorne. "Und? Wie sieht's aus?" Kopfschütteln vom Prof. Entnervtes Raunen. Vereinzelt verängstigte Blicke zum Fenster. Der dunkelrote Fleck am Morgenhimmel ist größer geworden. Man kann beinahe zugucken. Vereinzelt verängstigtes Wimmern. "Kann man denn gar nichts...?" Kopfschütteln. Irgendjemand bringt Tee und ein handbetriebenes Grammophon in die nur von ein paar Kerzen erhellte Turnhalle. Auf der Schellakplatte Mozarts Requiem, ein wenig leierig, aber apokalyptisch genug um vereinzeltes Schluchzen hervorzurufen. Der dunkelrote Fleck ist mittlerweile schon fast so groß wie der Mond. "Wie lange noch?" fragt jemand. Der Professor zuckt die Schultern. "Zwei, drei Stunden. Höchstens" sagt er leise, geht nach hinten, betet. Einige andere fangen auch an zu beten. Plötzlich ein Aufstoßen. Eine Frau rennt raus. Kurz darauf vernimmt man gedämpfte Würgegeräusche. Ich hätte nie gedacht, daß das Ende der Welt dermaßen unromantisch ist. Das Grammophon geht mit einem klicken und leisen kratzen aus. Niemand macht sich die Mühe, die Platte umzudrehen. Mir huscht der flüchtige Gedanke durch den Kopf, daß die Zeit nicht mal mehr reicht, sich ordentlich zu betrinken. Andererseits wollte ich auch nicht auf einem Turnhallenboden sitzend sterben. Aber nur hinstellen reicht auch nicht. Galgenhumor. Ich überlege, ob ich rausgehen soll. Nach zwei Minuten in der mehr als eisigen Kälte kehre ich in die Turnhalle zurück und hole mir einen Tee. Seltsam zu wissen, daß gleich alles vorbei ist und darüber nachzudenken, wie jemand ohne Strom den Tee kochen konnte. Der dunkle Kreis am Himmel füllt fast das ganze Fenster aus. Irgendwie hatte ich ein Geräusch erwartet, ein Summen vielleicht, wenn er so nah ist. Aber ich weiß, daß es physikalisch nicht möglich ist. Ich trinke meinen letzten Schluck Tee und versuche mich auf das Unvermeidliche vorzubereiten, aber irgendwie sind meine Gedanken zäh wie Mensa-Schnitzel.

Dann der Aufprall. Rumpeln. Alles wird umgeworfen. Ich drehe mich um, Strike! Ich habe die Runde gewonnen. Triumphierend bestelle ich mir ein neues Bier.
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║ 4. Haus 8                                                           ║
║ Dienstag,  4. Januar 2005, 00:00                               eloi ║
╚═════════════════════════════════════════════════════════════════════╝
Schlendern im Mondschein. Übertriebene Liedtextsentimentalität. Ich war gestern so breit, daß ich nicht mal mehr weiß, ob der Mond überhaupt geschienen hat. Ich glaube es hat geregnet, aber auch da bin ich nicht sicher. Meine selbstzerstörerische Affinität zum Alkohol wird mich, gepaart mit meinem Hang zum Selbstsarkassmus eines Tages noch umbringen.

Zehn abrupte Biere und ein Stück Fleischwurst. Mein Magen hatte nichts dagegen. Offensichtlich ist er ein schier endloses Raum-Zeit-Kontinuum. Das letzte Bier, noch geschlossen irgendwo draußen deponiert, dann in den Club. Drei Taler Eintritt für nichts an was ich mich erinnern kann. Ist vielleicht besser so.
Dann auf dem Heimweg: Christen - Satanisten, Kapitalisten - Faschisten. Ich frag' mich, wie ich darauf kam.
Der Sturm war schneller, er hatte vor mir alle Mülltonnen umgetreten.
Die verwirrten Blicke der paar Passanten hab' ich nicht mal mehr belächelt. Auch die Scheinwerfer des Autos, daß mich überfuhr, hatten nichts romantisches.

Als ich nach achtzehn Monaten wieder ohne fremde Hilfe laufen und essen kann, habe ich in einem Busch hinter dem Club mein Bier gefunden.
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║ 3. Linie 25                                                         ║
║ Montag,  3. Januar 2005, 00:00                                 eloi ║
╚═════════════════════════════════════════════════════════════════════╝
"Die Fahrausweise bitte." Ich schaue aus dem Fenster, bis er mich antippt. "Fahrausweis." Ich lächle ihn an. "Sie möchten also einen Fahrausweis?" Nicken. "Lassen Sie mich nachdenken... ja, ich werd' mal schauen, was ich für Sie tun kann." Langsam-theatralisch hole ich meine Brieftasche hervor und sehe hinein. Scheinbar überrascht rufe ich "ich habe sogar mehrere! An was für eine Art Fahrausweis dachten Sie denn?" "Einen gültigen." "Ah ja, mal sehen. Oh schauen Sie! Ich habe hier einen. Von heute! Handsigniert von der Linie fünfundzwanzig!" Er sieht ihn sich an. "Und? gefällt er Ihnen? Ich mache Ihnen einen Sonderpreis. Sagen wir... Zehn Euro?" Er gibt ihn mir wortlos zurück. Ich nehme ihn wieder an mich. Schaue ihn an. "Wirklich nicht? In Ordnung, sieben! Weil Sie es sind." Er dreht sich um und geht weiter. "Fünf!" Keine Reaktion. Ich rufe etwas lauter "zwei! kommen Sie, daß ist sogar unterm offiziellen Preis!" Er dreht den Kopf zu mir. Grinst.

Na geht doch.
╔═════════════════════════════════════════════════════════════════════╗
║ 2. Kaffee                                                           ║
║ Sonntag,  2. Januar 2005, 00:00                                eloi ║
╚═════════════════════════════════════════════════════════════════════╝
Der mit mehr als 9,81 m/s² beschleunigen- 
    de Fahrstuhl nach unten ist noch 
      nicht langsamer geworden Er 
        beschleunigt noch immer 
          Und ich klebe unter 
             der Decke und 
               Du wartest 
                  nicht. 
                  Schon gar nicht 
                             auf mich 
                   
                                K 
                                A 
                                F 
                                F 
                                E 
                                E 

╔═════════════════════════════════════════════════════════════════════╗
║ 1. Danke für das Buch                                               ║
║ Samstag,  1. Januar 2005, 00:00                                eloi ║
╚═════════════════════════════════════════════════════════════════════╝
Das Leben ist ein Spießrutenlauf über Beton, durch scharfkantigen, rostigen, meterhohen Eisenschrott.

Man muss ständig aufpassen sich nicht zu verletzen, nicht zu stürzen.
Dann plötzlich kommt jemand und zeigt einem, daß es anders geht, daß man fliegen kann.
Und man fliegt mit, ohne nachzudenken.
Und plötzlich scheint alles einfach und man haut sich mit der Flachen Hand lachend vor die Stirn.
Doch dann holt der selbe Jemand aus seiner Tasche wortlos ein Buch über Schwerkraft und fliegt fort, noch ehe man zu Ende gelesen hat.
Noch im Fall denkt man plötzlich an das Leben vor dem Flug.
An die scharfkantigen Eisenteile und den Beton.

Daran, daß man, hätte dieser Jemand einem nicht das Fliegen gelehrt, nur gestolpert wäre und mit einem blutigen Kinn hätte weiterlaufen können.
Seltsamerweise ist man nicht sauer auf ihn, man ist ja an seiner eigenen Dummheit selbst schuld.
Und man hat kaum Angst vor dem Aufprall, weil man weiß, daß man ihn wahrscheinlich nicht überlebt.

Und in einem Anflug von Galgensarkassmus denkt man "Danke für das Buch" und fällt weiter...